Mitbestimmung – eine gute Wahl!

(aus: Schlaglichter Nr.56/02)

Wenn ihr diese Zeilen lest, habt ihr vielleicht gerade euer Kreuz bei einer der vielen Parteien gemacht, die in den Deutschen Bundestag einziehen wollen. Oder aber der große Wahltag steht noch bevor. Wie auch immer ihr euch entscheidet, ihr nutzt euer verfassungsmäßig verankertes Recht auf Mitbestimmung. Wenn die Mitbestimmung auch nur ganz, ganz klein aussieht, so baut dennoch der ganze deutsche Rechtsstaat mit all seinen Institutionen darauf auf. Auch in unserem Verband sind demokratische Strukturen ein Wesenselement unseres Handelns. Und Mitbestimmung, die Form, um von demokratischen Rechten Gebrauch zu machen, wird in der DPSG ganz groß geschrieben. So groß, dass sie bis in die Kinderstufen hinein praktiziert werden soll.

„Look at the boy, look at the girl!“

Als Kinder- und Jugendverband sollte es uns natürlich besonders am Herzen liegen, dass unsere jungen Mitglieder unseren Verband mitgestalten können. Schon der Gründer der Weltpfadfinderbewegung, Lord Robert Baden Powell, wusste, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in ausreichendem Maße berücksichtigt werden müssen. „Look at the boy, look at the girl“ heißt daher ein wichtiger Grundsatz in der weltweiten Pfadfinderarbeit. Nun kann der Leiter aber noch so genau hinsehen und gut über seine Gruppenkinder bescheid wissen, am besten erfährt er etwas über die Interessen und Bedürfnisse der Gruppenmitglieder, wenn er sie fragt. Das bedeutet, dass eine altersgemäße Mitbestimmung die moderne und bestmögliche Verwirklichung von „Look at the boy, look at the girl“ ist. Dass dabei natürlich auf die Situation der Kinder Rücksicht genommen werden und die Leiter altersgerechtete Methoden zur Mitbestimmung finden müssen, versteht sich fast von selbst. Schließlich sollen vor allem die Mitglieder der Kinderstufen nicht überfordert werden, sondern ganz langsam an Mitbestimmung und demokratische Prozesse heran geführt werden.

Mitbestimmung ist nicht Bestimmung

Wichtig ist auch zu beachten, dass Mitbestimmung etwas anderes ist als Bestimmung. Kinder sollen den Gruppenalltag, das Lager und einiges Mehr nicht bestimmen, sondern mitbestimmen. Es wird deutlich, dass eine Leitung in der Gruppe unerlässlich ist, die dort eingreift, wo Kinder, aber auch Jugendliche die Konsequenzen ihrer Entscheidungen aus den Augen verlieren könnten. Oder aber dort, wo es auch um ihre eigenen Belange geht – ja, auch Leiterinnen und Leiter haben Bedürfnisse. Und die decken sich nun mal nicht immer mit denen der Gruppenkids. Je nach Situation ist es daher die Aufgabe von Gruppenleitern, Begleiter, Anleiter, Vorbild oder auch Mitglied in der Gruppe, die eine Entscheidung zu treffen hat, zu sein.

Mitbestimmung besitzt übrigens weit mehr Facetten als gemeinhin im (Gruppen-)Alltag gelebt wird. So ist es in vielen Stämmen zwar üblich, das satzungsgemäße Recht der Kinderstufen auf Mitentscheidung in der Stammesversammlung auch zu gewähren, doch das ist keinesfalls ausreichend. Ganz im Gegenteil – das Mitbestimmen der Kinder auf einer Stammesversammlung sollte sozusagen der Höhepunkt der Mitbestimmung sein. Im Gruppenalltag sollen Kinder lernen, dass sie mitentscheiden können, dass sie Konsequenzen ihrer Entscheidung tragen und Verantwortung für die Umsetzung übernehmen müssen. Das kann bei der Vorbereitung zu einem Wölflingstag, einer Gruppenstunde oder einem Lager sein.

Entscheiden will gelernt sein

Erst nach diesem Lernprozess ist es gewährleistet, dass auch die jungen Mitglieder eben jenen Horizont haben, den sie für eine Stammesversammlung brauchen und der ihnen von den Erwachsenen nur allzu häufig abgesprochen wird. Und wenn Leiter- und Leiterinnen sich die Mühe machen, ihre Wölflinge auch bei vielen Misserfolgen und „Fehlentscheidungen“ zu begleiten, wird diese Arbeit Früchte tragen und Kinder schon früh durch eigene Erfahrung zu „guten Mitbestimmern“ machen – was letztendlich nichts andere heißt, als Verantwortung für die Konsequenzen der Entscheidungen mit zu übernehmen.

LeiterInnen sind Anwälte

Nun gibt es im Verband nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch deren Anwälte, die Leiterinnen und Leiter in der DPSG. Dass es schön wäre, wenn Kinder auch ein Mitspracherecht bei der Leiterauswahl hätten, braucht man bei der prekären Leitersituation im Verband wohl kaum zu erwähnen. So ist es umso wichtiger, dass sich diese nicht durch Wahl legitimierten Leiterinnen und Leiter als Vertreter ihrer Gruppenkinder fühlen und deren Interessen und Bedürfnisse in die höheren Ebenen der DPSG tragen. Dann wäre auch die viel gescholtene Basisferne der Funktionäre auf Bezirks-, Diözesan- und Bundesebene Schnee von gestern. Schließlich haben die Stufen – und das ist auch gut und wichtig so – ein hohes Gewicht in den Entscheidungsgremien der DPSG.

Neue Formen wagen

Nun lässt sich natürlich die Frage stellen, ob die Mitbestimmung nicht insgesamt zu wenig ausgeprägt ist. Wie viele der Interessen und Bedürfnisse der Basis kommen noch an der Spitze des Verbands an? Hier zeigt sich, dass die DPSG im Vergleich beispielsweise zu einem Verfassungsstaat einen ganz großen Vorteil hat: Der Verband bietet einen geschützten, überschaubaren Raum, Neues auszuprobieren. Das gilt auch in bezug auf Demokratie und Mitbestimmung. Wird das neue Element für gut befunden, kann es die Palette an Mitbestimmungsmöglichkeiten bereichern, klappte es nicht, so hat man eine Erfahrung gesammelt, die durchaus auf größere Gebilde oder andere Situationen übertragen werden kann.

Als Beispiel soll hier nur der Mitgliederentscheid angeführt werden, der zur Kluftfrage im vergangenen Jahr durchgeführt wurde. Erstmals in der Geschichte durften alle Mitglieder der DPSG über etwas entscheiden, was in der Vergangenheit nur von den oberen Repräsentanten des Verbandes entschieden worden ist. Dass es dabei auch Missverständnisse und Ärgernisse gab, sollte man keineswegs als Scheitern betrachten, schließlich war es der erste Versuch. Viele Mitglieder fühlten sich durch die Mitentscheidung ernst genommen, sie wurden nach ihrer Meinung gefragt – und so kommt genau das an, was Demokratie ausmacht: „Du bist wichtig!“ Jede Stimme zählt und keine hat mehr Gewicht als die andere. Diese positive Aussage sollten unsere jungen, aber auch die erwachsenen Mitglieder erfahren und mit ins Leben nehmen können. Demokratie lebt vom Mitmachen möglichst vieler und wo könnte man sie besser erfahren und lernen als bei uns.

DPSG will zum mündigen Bürger erziehen

Dafür ist es allerdings wichtig, die positive Aussage, die schon das Wort Demokratie in sich trägt (griechisch: »Volksherrschaft«, die Lebens- und Staatsform, die fordert, dass nach dem Willen des Volkes regiert werde), auch zu leben. Wenn gelebte Demokratie zum Beispiel bei Wahlen für mehr Frust als Lust sorgt, dann haben wir unsere Chance vertan, demokratiebegeisterte Bürger zu erziehen. Sorgen wir also dafür, dass unsere Wahlen nicht zur Klüngelveranstaltung verkommen. Machen wir deutlich, dass es in der DPSG wichtig ist, gute Ideen zu haben, Engagement zu zeigen und Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Mein bester Freund ist nicht weniger mein bester Freund, nur weil ich bei der Stammesversammlung seinen Konkurrenten wähle. Wenn schon Kinder solche Dinge verinnerlichen, nehmen sie von der DPSG die besten Voraussetzungen mit, mündige Bürger zu werden.

Beim Konsens gibt es keine Verlierer

Unser Verband legt die Maßstäbe teilweise allerdings noch höher: Demokratie und Mitbestimmung führt nicht immer dazu, dass Mehrheiten das Gruppenleben bestimmen. Die in der DPSG angewandte Projektmethode soll dafür Sorge tragen, dass die Interessen und Bedürfnisse aller verwirklicht werden. Daher sind Gruppenleiter dazu aufgerufen, im Entscheidungsprozess besonders auf Minderheiten zu achten. Entscheidungen werden im günstigen Fall im Konsens getroffen. Erst wenn alle Gruppenmitglieder sich in einer Entscheidung wiederfinden, dann fühlen sich auch alle dafür verantwortlich, dass das Projekt ein Erfolg wird. Wenn Leiterinnen und Leiter also im Vorfeld schon darauf achten, dass Entscheidungen bewusst und gut getroffen werden, gibt es später viel weniger Probleme mit „Querschlägern“.

Schaffen wir also in unserem Verband eine Atmosphäre, die Mitbestimmung und Demokratie gelingen lässt und sorgen so dafür, dass aus unseren Gruppenkindern einmal mündige Bürger werden.

Marcus Ohl, MdR

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