Pfadfinder- und Roverstufe - Stufen mit Zukunft?

(aus: Schlaglichter Nr.48/00)

Gedanken zu den schrumpfenden Jugenstufen

In nahezu allen Stämmen der Diözese bietet sich das gleiche Bild: während Aufnahmestopp bei den Wölflingen herrscht, Jungpfadfinder-Trupps übervoll sind oder lange Wartelisten haben, bricht der Ansturm in den höheren Altersstufen oftmals ein: kleine Pfadi-Trupps oder gänzlich fehlende Roverrunden sind eher die Regel als eine Ausnahme.

Wenn viele Stämme nur ein oder zwei Wölflingsmeuten haben, liegt dies in der Regel nicht an mangelnder Nachfrage, sondern an fehlenden Leitungsteams.

Anders bei den Pfadfinder- und Rovergruppen - hier ist die Nachfrage gering, die Zahl der Aussteiger groß.

Keine neue Entwicklung!

Diese Entwicklung ist nicht neu und auch nicht auf unsere Diözese beschränkt. Wo man auch hinschaut, sind die Verhältnisse meist ähnlich: große Kinderstufen, aber kleine oder ganz fehlende Jugendstufen.

JahrPfadisRover
1991468225
1992461322
1993359302
1994398302
1995464288
1996447293
1997449271
1998403288
1999377339
2000374324
Mitgliederzahlen der Jugendstufen von 1991 bis 2000 in der Diözese Mainz

Auch im Bundesverband sieht die Entwicklung ähnlich aus:

Mitgleiderzahlen der DPSG auf Bundesebene 00:
Wölflingsstufe:26.000
Jungpfadfinderstufe:25.000
Pfadfinderstufe:16.000
Roverstufe:11.000

Schwerpunktthema der Diözesanleitung

Die Diözesanleitung will sich deshalb nach dem Schwerpunktjahr "StaVo-Ausbildung" nun verstärkt mit diesem Thema auseinandersetzen. Wir wollen dem Phänomen der schwindenden Jugendstufen auf die Spur kommen und vor allem Überlegungen anstellen, wie wir dieser Entwicklung entgegenwirken können.

Kleine Jugendstufen - Warum?

Die Gründe für das Wegbrechen der Teilnahme in den Jugendstufen sind sicherlich komplex und von Fall zu Fall verschieden.

Trotzdem sollen einige Überlegungen angeführt werden, die sicherlich mit dem Schrumpfen unserer Jugendstufen verbunden sind. Daraus können dann Überlegungen entstehen, wie die DPSG angemessen auf die Entwicklung reagieren kann.

Die Lebenswelt von Jugendlichen

Die Lebenswelt von Jugendlichen ist mehr denn je von großen Umbrüchen geprägt.

Mehr Möglichkeiten

Jugendliche haben in der gegenwärtigen Gesellschaft bedeutend mehr Möglichkeiten, ihre Freizeit zu verbringen als früher - die Medien machen es möglich. Darüber hinaus nehmen die Möglichkeiten für Freizeitgestaltung mit zunehmendem Alter (und finanziellen Mitteln) ebenfalls zu.

Das Pfadfinder-Sein ist daher zunehmend mehr nur ein Angebot unter vielen. Darüber hinaus werden Jugendliche hier in mehrlei Hinsicht gefordert: Teilnahme an wöchentlichen Gruppenstunden, sich in die Gruppe einbringen, eigene Ideen entwickeln und vieles mehr.

- Spaß auf Knopfdruck

Da ist es oftmals einfacher, seine Zeit mit "chatten", "surfen", "zappen" oder sonstigem Medienkonsum aller Art zu verbringen - denn diese Form der Freizeitgestaltung kann jederzeit und nach Bedarf ein- oder ausgeschaltet werden, und sie ist ebenso frei von Verantwortung wie von Bindung. Der Begriff der "Spaßgeneration" fasst dieses Verhalten treffend zusammen. Die Medien verlangen keinen Einsatz, keine persönliche Aufwendung und kein Engagement - die DPSG schon!

- Aufbrechen der familiären Bezüge

Die Veränderung der typischen familiären Bindungen steht in direktem Zusammenhang mit dieser Entwicklung: Wo viele Eltern früher auf eine "sinnvolle" Freizeitgestaltung ihrer Kinder Wert legten, ist in jüngerer Zeit zunehmend Beliebigkeit eingekehrt; Jugendliche lassen sich umgekehrt auch von ihren Eltern weniger vorschreiben.

Die gesellschaftlichen Veränderungen lassen schließlich auch Eltern immer weniger Spielraum, ihr Leben zu meistern. Die Elterngeneration wird somit auch immer weniger als Autorität erlebt. Dazu kommt, dass es in vielen Familien oftmals niemanden mehr gibt, den es überhaupt interessiert, was die Kinder wirklich tun, solange sie nicht auffallen: alleinerziehende Mütter oder Väter, die für den Lebensunterhalt der Familie sorgen müssen, sind oft damit überfordert, darauf zu achten, was ihre "lieben Kleinen" den ganzen Tag so treiben.

Das Problem der Orientierung von Jugendlichen in dieser Gesellschaft wird im Leitungshandbuch der Roverstufe treffend beschrieben:

"Das Angebot steigt, in jeder Hinsicht. Das Angebot an Medienerlebnissen, an Lebensentwürfen, Lebensstilen, an Konsumartikeln, an Sinnangeboten...

Jugendliche haben die Wahl. Aber man kann nicht alles machen. Das Geld, die Zeit sind begrenzt. Das Gefühl, das bleibt, ist: Wenn ich mich für das eine entscheide, verpasse ich all das andere. Aus dem zu großen Angebot in allen Bereichen resultiert oft eine Orientierungslosigkeit: Was soll ich tun, was soll ich lassen? Welcher Lebensentwurf ist für mich richtig, welcher Beruf, welche Ausbildung?"

Was hat die DPSG damit zu tun?

Will die DPSG dazu beitragen, Jugendlichen Orientierung in einer zunehmend komplexen Gesellschaft zu geben, ist sie gefordert, sich der veränderten Lebenswelt von Jugendlichen zu stellen. Dies stellt vor allem hohe Anforderungen an die Leitungskräfte. Meiner Meinung nach lohnt es, folgenden Überlegungen nachzugehen:

1. Lebenswirklichkeit nicht ausklammern

Die DPSG darf die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen nicht ausklammern, sondern muss sie aufgreifen und einbeziehen. Dies bedeutet nicht, jeden Trend unreflektiert mitzumachen - aber wir müssen zumindest stets bereits sein, unsere Strukturen zu überdenken, und uns fragen, inwieweit die Lebenswelt von Jugendlichen darin Platz findet. Jugendliche müssen sich in unseren Programmen und Aktionen wiederfinden, ihre Träume und Ängste müssen angemessenen Platz haben, die DPSG darf keine eigene Welt ohne Bindung nach außen sein.

2. Erwachsene Leitungsteams

Um Jugendlichen Orientierung bieten zu können, müssen die Leiter und Leiterinnen Vorbilder sein. Sie müssen eine Vorstellung davon haben, wo sie stehen, was sie wollen und wofür sie eintreten. Dies setzt erwachsene Leitungskräfte voraus.

In der Roverstufe kommen noch eigene Aspekte hinzu:

3.Rover brauchen Leitung!

Auch noch Roverrunden brauchen engagierte Leitungsteams, die sich auch als "Leitung" verstehen.

Bis zur Pfadfinderstufe werden die Trupps von Leitungsteams geleitet. Mit dem Wechsel von der Pfadfinderstufe in die Roverstufe fallen dann viele Runden in ein großes Loch. Denn viele Roverleiter und - leiterinnen verstehen sich nur noch als "Berater" der Runde, was sich manchmal bereits darin erschöpft, zur Gruppenstunde die Tür zum Gruppenraum aufzuschließen und aufzupassen, dass die Runde keine "Dummheiten" macht. Unter diesen Umständen ist klar, dass die Motivation und das Gefühl, etwas sinnvolles zu tun, sinkt, und die Bereitschaft wächst, aus der Runde auszusteigen.

4. Roverleiter - die "zweite Karriere"

Dazu kommt, dass die Leitung von Roverrunden oft die "zweite Karriere" von Leitungskräften im Verband ist: "Eigentlich habe ich ja keine Zeit mehr, um Gruppenleiter zu sein - aber eine Roverrunde, das geht schon noch ... die sind ja schon selbständig" ist vermutlich ein häufig geführter Gedanke.

Roverleiter und -leiterinnen nehmen auch in geringerem Maße an den verbandlichen Ausbildungen teil. Denn vielmals haben sie z.B. die Woodbadgeausbildung bereits als Wölflingsleiter absolviert, oder sie haben (zumeist aus beruflichen Gründen) keine Zeit mehr dafür. Damit fehlt ihnen jedoch die Möglichkeit, sich mit anderen Roverleitungen auszutauschen und sich neue Ideen zu holen.

Roverland Mainz - die von der Roverstufe entworfene Diözesankarte zeigt überdeutlich die Situation in der Diözese! Längst nicht jeder Stamm in unserer Diözese hat eine Roverstufe. In etwa einen Drittel der Stämme gibt es keine Rover, in einigen sogar auf keine Pfadis.

Hinschauen ist gefordert

Diese Überlegungen sollen als Anknüpfungspunkte für dieses Jahr dienen und zum Nachdenken und zum Diskutieren anregen.

Es ist klar, dass hier weder komplett erklärt werden kann, warum gewisse Entwicklungen sind wie sie sind, noch, was genau unternommen werden kann oder muß.

Aber ich glaube, es lohnt sich, genau hinzuschauen warum unsere Jugendstufen immer kleiner werden, und sich zu fragen, was es bedeutet. Ich denke, unser Verband hat Jugendlichen einiges zu bieten. Dieses Angebot ist vielleicht heute wichtiger denn je. Es zu erhalten, stets neu zu überdenken und dadurch voranzubringen, ist eine wichtige Aufgabe.

Die Frage nach der Größe der Jugendstufen ist nicht zuletzt auch eine Überlebensfrage des Verbandes. Der Mangel an Leitungskräften in vielen unserer Stämme resultiert direkt aus den sinkenden Zahlen in der Pfadfinder- und Roverstufe.

Kerstin Fuchs, Diözesanvorsitzende, MdR

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