Leiter unter 18

(aus: Schlaglichter Nr.59/03)

Unter allen Umständen nicht? Nicht unter allen Umständen?

Andere Jugendverbände haben sie. Wir haben sie nicht: die Leiter unter 18. Was bei anderen Jugendverbänden normal ist, dass ein Jugendlicher mit 16 Jahren Leiter einer Gruppe wird, geht bei der DPSG nicht. In unserer Satzung ist fest verankert, dass nur Mitglieder über 18 Jahren Leiter werden können. Was steckt dahinter? Ein schlüssiges pädagogisches Konzept mit den verschiedenen Alterstufen und deren Leitern? Oder doch reine Willkür oder das Beharren auf eine juristische Altersgrenze? Oder zwingt uns die Praxis in der Leiter- oder Roverrunde, Veränderungen vorzunehmen?

Wir wollen diese Diskussion hier führen. Hintergrund ist auch, dass auf der Diözesanversammlung 2002 der Stamm Sankt Bonifatius aus Seeheim den Antrag eingebracht hat, das Leitereinstiegsalter auf 16 zu senken bzw. diesen Antrag auf der Bundesversammlung zu stellen. Der Antrag wurde damals einstimmig abgelehnt. Über die Inhalte wollen wir in den Schlaglichtern diskutieren.

Der Stamm Seeheim wollte dazu beitragen, dass Leiter unter 18 aus der Grauzone der Duldung in die Anerkennung geholt werden, damit man deren Bedürfnissen gerecht werden kann, z.B. durch ein adäquates Ausbildungskonzept. Die Diözesanleitung hat sich vom Stammesvorsitzenden Benjamin Krick über die Arbeit mit jüngeren Leitern informieren lassen und vereinbart, dass der Stamm weiter mit Leitern unter 18 Jahren arbeiten kann („Feldversuch“), diese bestimmte Veranstaltungen der Diözesanebene besuchen können und die „Schlaglichter“ bekommen.

Die Redaktion der Schlaglichter hat Autoren gebeten, jeweils Aspekte für eine Position zu vertreten. Stefan „Speedy“ Schmitt und Benjamin Krick bzw. Sebastian Wolf haben sich dazu bereit erklärt. Viel Spaß beim Lesen und Mitdenken!

Gegen Leiter unter 18 - von Stefan „Speedy“ Schmitt

In der DPSG ist es satzungsmäßig verankert, dass Mitglieder über 18 Jahre Gruppenleiter werden können. Und das ist auch gut so. Wir können darauf vertrauen, dass sich diejenigen, die für die Erstellung und Aktualisierung der Satzung bzw. Ordnung verantwortlich sind, durchaus etwas gedacht haben, als sie ein Alter von mindestens 18 Jahren festgelegt haben. BASTA!

Nein, ganz im Ernst, es gibt durchaus gute Gründe für ein Mindestalter von 18 Jahren, welche ich hier einmal erläutern möchte: Zum einen ist es sicherlich ein juristisches Problem wenn Personen, welche die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben, für andere Kinder und Jugendliche Verantwortung übernehmen sollen. Wie muss denn die Einverständniserklärung der Eltern für einen solchen Fall aussehen? "Ich erkläre mich damit einverstanden, dass mein Kind die Aufsichtspflicht für andere Kinder übernimmt?"

Wichtiger als juristische Probleme ist mir unsere pädagogische Arbeit im Verband. Bei Herabsetzung des Einstiegsalters als Gruppenleiter entsteht eine noch härtere Konkurrenz zwischen Leitersein und Roverstufe. Viele junge Gruppenleiter tun sich selbst mit der heutigen Regelung sehr schwer mit der Ablösung von der Roverrunde. Geht man davon aus, dass man Leiter-sein nur mit ganzem Herzen oder gar nicht macht, muss besonders bei Stammesveranstaltungen immer die Roverrunde leiden. Die Bildung eines Gruppenprozesses würde bei einer hohen Zahl an Halbleitern (oder Halbrovern) in der Roverrunde verhindert.

Laut Shell Jugendstudien zieht sich die Jugendphase immer weiter nach hinten. Gleichzeitig verändern sich auch unsere Gruppen, so dass Gruppenleiter heute immer größeren Ansprüchen gerecht werden müssen. In diesem Spannungsfeld besteht die Gefahr in der Überforderung der Jugendlichen. Mit Gruppenleitern unter 18 Jahren nehmen wir uns die Chance, die Entwicklung von jungen Erwachsenen in der Roverstufe begleiten zu können und müssen mit weniger gefestigten Leitern immer höheren Anforderungen gerecht werden.

Vielerorts ist die Rede vom Leitermangel. Auch ich bin Gruppenleiter in meinem Stamm und weiß über die Schwierigkeiten, funktionsfähige Teams zusammensetzen zu können. Wenn wir hier aber der Verlockung nachgeben und kurzfristig eine Lücke füllen, wird langfristig ein um so größerer Mangel herrschen, da wir immer weniger motivierte und gefestigte Gruppenleiter erwarten können. Vielmehr muss sich der Vorstand bzw. die Leiterrunde überlegen, wie ein Engpass nachhaltig zu meistern ist. Wenn sonst keine Mittel mehr gefunden werden, sollte nicht nur über die Schließung der Roverrunde (durch Leiter-Rekrutierung), sondern gleichwertig auch über Einsparungen z.B. in der Wölflingsstufe durch Aufnahmestop, oder über Zusammenlegung von Trupps nachgedacht werden.

Gelegentlich höre ich von Gruppenleitern unter 18 Jahren, dass sie nicht aus Leitermangel, sondern aus eigenem Antrieb eingestiegen sind. So sehr ich mich über ein solches Engagement freue, ist hier oft die Ursache in einer unbefriedigenden Roverrunde zu suchen. Unsere Aufgabe sollte es also sein, die Roverstufe zu stärken. Dies kann auch geschehen durch Einbindung von Rovern / Roversprechern in Ausbildungsangebote der Bezirke und Diözese.

Meine Vision ist, dass Rover, die als Leiter anfangen, bestmögliche Voraussetzungen mitbringen. Dazu gehört das Erleben einer funktionierenden Roverrunde genauso, wie eine Grundbildung als Gruppenleiter bereits am Anfang der "Leiterkarriere".

Für Leiter unter 18 - von Benjamin Krick und Sebastian Wolf

Leiter unter 18: Warum?
Die DPSG gibt sich selbst einen Erziehungsauftrag. Sie möchte dazu beitragen, dass aus jungen Menschen wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden: bereit und fähig, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen, die Gesellschaft mitzugestalten und mitzutragen. Diese Bereitschaft und Befähigung soll durch eine „Ausbildung“ erreicht werden, in der die Mitglieder vom Wölfling bis zum Rover vier Altersstufen mit wechselnden Leitungsteams, unterschiedlicher Gruppenzusammensetzung und altersadäquaten Aktivitäten durchlaufen. Sie übernehmen immer mehr Verantwortung selbst, bis die Gruppe schließlich – mittlerweile eine Roverrunde – keine Leiter im eigentlichen Sinne, sondern „nur“ noch Begleiter, Berater braucht.

Wenn man die Leitertätigkeit als Fortsetzung und gewissermaßen vorläufigen Höhepunkt pfadfinderischer Erziehung betrachtet, durch die junge Menschen befähigt werden sollen, Verantwortung nicht nur in einer Gruppe Gleichaltriger, also etwa Gleichstarker zu übernehmen, sondern auch für Schwächere und Schutzbedürftige, so stellt Leitung durch Jugendliche ab 16 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (s.u.) kein Problem für uns dar. Aus diesem Grund brauchen wir ein Konzept und eine eigene Pädagogik für die „Leiterstufe“.

Ein weiteres wichtiges Argument ist, dass viele 16- und 17-Jährige leiten wollen. Da wir in der DPSG auf die Bedürfnisse und Wünsche Jugendlicher eingehen und ihre Interessen fördern möchten, sollten wir ihnen auch diesen Wunsch nicht verwehren. Manche, die leiten wollen und denen dies bei uns versagt wird, werden entsprechende Funktionen in anderen Gruppen, z.B. bei den Messdienern einnehmen, wo meiner Erfahrung nach die Begleitung und Ausbildung der jungen Leiter wesentlich schlechter ist. Mit einer strikten Verweigerungshaltung ist also niemandem gedient.

„Wer sich seiner eigenen Kindheit nicht mehr deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher“. Zu diesem Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach möchten wir die These aufstellen, dass sich jüngere Leiter tendenziell besser an ihre eigene Kindheit erinnern als ältere. Tatsächlich haben wir festgestellt, dass jüngere Leiter besser und schneller mit den Kindern klarkommen als ältere, weil die gemeinsame, auch emotionale Basis eine breitere ist. Sicher hängt dies stark von der jeweiligen Persönlichkeit des Leiters ab; ebenso vorsichtig muss allerdings auch mit der Behauptung umgegangen werden, Personen über 18 Jahren seien per se gefestigter und deshalb automatisch zu Leitungsaufgaben besser befähigt. Die Zahl 18 hat fraglos ihre juristische Bedeutung, aber sie ist wie alle autoritativ festgelegten Altersgrenzen auch Symbol einer gewissen Beliebigkeit.

Es soll gar nicht geleugnet werden, dass die Praxis, Jugendlichen unter 18 Jahren Leitungsfunktionen zu übertragen, oftmals einem Mangel an älteren Leitern entspringt. Unser Stamm könnte derzeit ohne Leiter unter 18 Jahren auskommen, darunter würde aber die Qualität unserer Arbeit leiden. Dies mag auch ein Blick in die Stammesgeschichte belegen. Einige Jahre bestand die Leiterrunde ausschließlich aus älteren Leitern, überwiegend Eltern. Daraufhin war die Runde eine Zeit lang gemischt: Jüngere Leiterinnen und Leiter, teilweise unter 18 Jahren, ergänzten die verbliebenen älteren und sorgten für neue Impulse. Es folgte eine kurze Zeitspanne, in der bis auf den Stammesvorstand fast alle Leiter unter 18 Jahren waren, worunter die Arbeit auf Stammesebene und in den Gruppen teilweise litt. In der Retrospektive erscheint die zweitgenannte Periode als eine der fruchtbarsten der Stammesgeschichte. Mittlerweile ist der Stamm glücklicherweise wieder in einer vergleichbaren Lage – durch ältere Quereinsteiger, aber gerade auch durch erwachsene Leiter, die bereits als Jugendliche Leitungsfunktionen übernahmen.

Auf der Diözesanversammlung wurde Benjamin Krick gefragt, ob wir denn keine ordentliche Roverstufe hätten und so die Jugendlichen von der Pfadfinderstufe gleich in die Leiterrunde retten wollten. Nun, wir haben eine funktionierende, aktive Roverrunde, eine, die nahe am Stamm ist (weil mit der Leiterrunde verwoben), die sich einbringt. Jene Mitglieder, die zusätzlich Leiter sind oder eine andere Tätigkeit (z.B. Öffentlichkeitsreferent) im Stamm übernommen haben, sind die tragenden Elemente der Roverstufe. Auch Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass diese Jugendlichen die Bildung eines Gruppenprozesses in der Roverrunde nicht hemmen, sondern oftmals erst ermöglichen.

Leiter unter 18: das Konzept
Die Gefahr der Überforderung junger Leiter ist ernst zu nehmen. Gerade deshalb bedarf es eines schlüssigen Konzepts für Ausbildung und Begleitung. Wir stellen im Folgenden ein in unserem Stamm seit mehreren Jahren erfolgreich erprobtes und weiterentwickeltes Konzept vor. Klar ist: Leiter unter 18 sind nur unter bestimmten Bedingungen zu haben. Schon der eingangs erwähnte Antrag unseres Stammes an die Diözesanversammlung sah detaillierte Auflagen für die Übertragung von Leitungsfunktionen an Jugendliche ab 16 Jahren vor.

Im Zentrum steht das Leiten im Team. Ein erfahrener volljähriger und ein junger Leiter leiten zusammen, eine Art „Meister-Schüler-System“ im positiven Sinne, in dem der junge Leiter von der Erfahrung des älteren profitieren kann, und in dem der Jüngere seine Kreativität, seine Spontaneität und sein „näher an den Kindern“-Sein einbringt. Es soll keine offizielle Hierarchie zwischen den beiden herrschen; dies sollte auch gegenüber den Gruppenmitgliedern durch ein entsprechend kooperatives Auftreten des Teams verdeutlicht werden: Hier sind zwei Leiter, die sich gegenseitig ergänzen. Die Gruppenstunden werden gemeinsam vorbereitet, geleitet und im Anschluss gemeinsam reflektiert. Der ältere Leiter muss sich bewusst sein, dass er nicht nur Verantwortung für die Leitung der Gruppe, sondern auch für die Entwicklung seines „Juniorpartners“ trägt. Flankiert wird diese „Lehre“ durch Ausbildung in der Leiterrunde und, sobald das entsprechende Alter erreicht ist, Veranstaltungen auf Bezirks-, Diözesan- und Bundesebene.

Leiter unter 18: Schlussbemerkungen
Es gibt also gute Gründe, die Erfahrung des Leiter-Seins unter 18 Jahren nicht nur anderen BDKJ-Verbänden und nicht anerkannten Pfadfinder-Gruppierungen zu überlassen. Unser ganzer Stamm – einschließlich der Eltern – tritt dafür ein, Leiter ab 16 nicht nur zu dulden, sondern offiziell unter den genannten Umständen anzuerkennen und zu fördern. Wir sehen hier vor allem die Diözesan- und die Bundesebene in der Pflicht, sich endlich auf die Realitäten einzulassen und entsprechend zu handeln. Zwar wurde bei „up2vote“ im Rahmen des Leiterkongresses „up2date“ sowohl die Einbettung der Leiter in eine 5. Stufe als auch der Antrag, Leiter unter 18 Jahren im Notfall zu gestatten, mit knapper Mehrheit abgelehnt. Aus der Formulierung eines anderen Antrags, dem knapp zugestimmt wurde, lässt sich allerdings deuten, dass Leiter unter 18 doch möglich sind. Auf jeden Fall ist die beschriebene Problematik Thema im Verband, die neue Satzung und die weitere reale Entwicklung der DPSG darf auch in dieser Hinsicht mit Spannung erwartet werden.

Um das Volumen dieser Ausgabe nicht zu sprengen, ist dieser Artikel gekürzt abgedruckt.

Der komplette Text kann unter www.dpsg-seeheim.de „Leiterrunde“ nachgelesen werden.

Info

Grundsätzlich haben bei diözesanen Ausbildungsveranstaltungen auch Mitglieder der DPSG, die mindestens 17 Jahr alt sind, die Möglichkeit teilzunehmen. Dies gilt nicht für Woodbadgekurse und die Veranstaltungen, in denen das verantwortliche Team etwas anderes beschließt.

Voraussetzung ist, dass sie eine Leitungsfunktion im Stamm innerhalb eines bestehenden Leitungsteam ausüben und durch den zuständigen Stammesvorstand zur Veranstaltung angemeldet werden. Dieser Beschluss gilt für ein Jahr. Danach wird die Diözesanleitung die Erfahrung diskutieren und für die Zukunft neu entscheiden.

(Beschluss der DL vom 04.02.203)

Was denkst Du über Leiter unter 18? Welche Erfahrungen hast Du mit diesem Thema gemacht? Wir freuen uns auf Deine Reaktion in Form eines (kurzen) Leserbriefs in der nächsten Ausgabe: DPSG Diözesanverband Mainz, Redaktion Schlaglichter, Am Fort Gonsenheim 54, 55122 Mainz, E-Mail: dpsg@bistum-mainz.de

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